#EarsToVets #notonemorevet: Hashtags mit ernstem Hintergrund gehen uns alle an

Wusstest du, dass das Selbstmord-Risiko unter deutschen Tierärzten 6-7-mal über dem der restlichen Bevölkerung liegen soll? Ich finde das eine erschreckende Zahl! Hört man sich so um, liegt das nicht allein am emotional herausfordernden Joballtag, schlechten Arbeitsbedingungen und mieser Bezahlung. Auch der Umgang der Gesellschaft mit Menschen dieser Berufssparte trägt einen entscheidenden Teil dazu bei. Also auch wir Halter. Mir geht dieses Thema seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf. Also wollte ich meine Gedanken dazu nieder schreiben.

Jeder einzelne Selbstmord ist einer zuviel

Ich persönlich bin der Meinung, dass jeder einzelne Mensch der Selbstmord begeht, Einer zu viel ist. Und zwar egal, aus welcher Bevölkerungsgruppe. Niemand sollte so verzweifelt sein, dass er keinen anderen Ausweg sieht, als sich selbst das Leben zu nehmen. Aber auch weit vorher sind Hilflosigkeit, Überbelastung und ein Gefühl der Ausweglosigkeit nichts, was irgendein Mensch meiner Meinung nach aushalten sollte.

Die gesamte Gesellschaft ist auf Tierärzte angewiesen

Wer weniger am Wohlbefinden seiner Mitmenschen interessiert ist, wird dennoch Gründe finden, eine erhöhte Suizidrate drücken zu wollen: Denn wer emotional belastet ist, arbeitet weniger gut und wird öfter krank. Konzentrierte Selbstmordraten führen dazu, dass es weniger Fachkräfte gibt und die Berufssparte zukünftig weniger Zulauf bekommt. Kurz gesagt: weniger Tierärzte = schlechtere Gesundheitsvorsorge für unsere Tiere und deutlich höhere Kosten.

Zusätzlich bedeuten weniger Fachkräfte auch, dass Forschung, Neuentwicklungen und Austausch zwischen Spezialisten schwieriger wird.

Ebenso sollten wir nicht vergessen, dass nicht nur wir Heimtierhalter ganz direkt auf gute veterinärmedizinische Versorgung angewiesen sind: auch die Tierfutter- und Medikamenten-Industrie sowie unsere Lebensmittelketten werden an vielen Stellen von Tierärzten unterstützt bis überhaupt erst ermöglicht.

Gründe für erhöhtes Selbstmordrisiko sind vielfältig

Die möglichen Gründe für ein erhöhtes Suizidrisiko unter (deutschen) Tierärzten sind vielfältig[1]. Schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und hohe emotionale Belastung sind nur ein Teil davon.

Manche davon können wir als Tierhalter nicht beeinflussen, manche nur indirekt. Dazu zählt auch die Bezahlung. Allerdings sind damit auch höhere Kosten verbunden – etwas, das unter vielen Tierhaltern auf massive Gegenwehr stößt. Dass auch hier ein Umdenken stattfinden muss, sollte jedoch Jedem klar sein.

Dagegen ist “Wertschätzung” ein Thema, das wir als Tierhalter ganz direkt beeinflussen können – und dazu noch völlig kostenlos.

Zwischen Gott in weiß, Teufel in Person und geldgierigem Bonze

Dazu müssen wir allerdings erst einmal unsere Erwartungen an und die Bilder über die Tierärzteschaft hinterfragen. Klar sollte wohl Jedem sein, dass wir nicht alle der mehr als zehntausend deutschen niedergelassenen Tierärzte[2] über einen Kamm scheren dürfen.

Sie alle sind unterschiedliche Menschen, mit unterschiedlichem Wissensstand, unterschiedlicher Motivation und unterschiedlichem Charakter. Und sicherlich sind unter ihnen auch echte Vollnieten, unfähige oder unmotivierte Besserwisser. Aber ebenso auch Koryphäen, die mit Herzblut dabei sind und sich den Hintern für jedes einzelne Tier aufreißen.

Wer unzufrieden mit (s)einem Tierarzt ist, geht nicht mehr hin, klärt das im persönlichen Gespräch oder schaltet Anwalt und zuständige Tierärztekammer ein – aber er startet keinen Shitstorm, um diesem Menschen nachhaltig zu schaden. Das sollte der grundlegende Anstand gebieten. Nicht zuletzt auch, weil unsere eigene subjektive Laieneinschätzung der Situation auch einfach objektiv falsch sein könnte.

Zur eigenen Verantwortung gehören auch Finanzen

Aber auch, weil wir selbst nicht unfehlbar sind: manche Halter warten mit dem Tierarztbesuch zu lang, halten sich nicht an Anweisungen zu Medikamenten oder Therapien. Manch Andere doktern erst einmal selbst herum und machen damit alles schlimmer. Und manche sind schlicht menschliche Ekelpakete.

Ein Punkt bei dem wir Halter uns nach Aussage sehr vieler Tierärzte jedoch ganz fest an die eigene Nase fassen sollten, sind die Finanzen. Klar ist: Haustierhaltung ist teuer. Objektiv gesehen kann sich das nicht Jeder leisten – subjektiv gesehen will sich das aber Jeder leisten. Die Folge davon ist oft: kein Geld für den Tierarzt, weil auch keine Vorsorge getroffen wurde. Weder Sparkonto, noch Versicherung.

Ausbaden müssen es dann Tier und Tierarzt. Auch das ist ein Punkt, den der gesunde Anstand verbietet. Die Tierarztkosten in Deutschland sind im Vergleich mit anderen europäischen Ländern lächerlich gering. Wenn wir als Halter keine Vorsorge dafür getroffen haben, sollten wir uns schämen, mit dem Tierarzt über Kosten zu diskutieren. Gute Arbeit kostet gutes Geld – wer es nicht (sofort) geben kann, dem steht eine ordentliche Portion Demut zu Gesicht. Aber sicherlich keine große Klappe!

Vorstellung vs Realität: Verdienst und Arbeitsbedingungen deutscher Tierärzte

Vor der Tätigkeit als Tierarzt steht erst einmal ein mindestens fünf einhalb Jahre langes Studium auf dem Programm[3]. Wer sich spezialisieren oder Facharzt werden möchte, muss noch ein paar Jahre dranhängen. Dann bleibt die Frage: anstellen lassen oder selbstständig machen und niederlassen?

Diese Frage ist vor allem erst einmal für die Investitionshöhe interessant: Schließlich kosten eine eigene Praxis, medizinische Geräte und Ausstattung mehrere zehn- bis hunderttausende Euro.

Auf den Verdienst und die Wochenarbeitszeit scheint sich dies nur unmerklich auszuwirken. So sollen nach einer Untersuchung aus 2016[6] vollzeitbeschäftigte angestellte Tierärzte im Mittel 45 – 50 Wochenstunden arbeiten. Ihre niedergelassenen Kollegen ackern 45 – 55 Stunden in der Woche. Etwa 20 % beider Gruppen arbeiten mehr als zehn Stunden pro Tag.

Dafür beträgt ihr Bruttostundenlohn gemittelt 19,20 €, während angestellte Kleintierpraktiker mit etwa 12,80 € brutto nach Hause gehen. Das sind jährlich 32.500 € bzw. 50.000 € brutto im Jahr. Davon gehen noch Sozialabgaben, Steuern und eventuell private Krankenversicherungen ab.

Andere Untersuchungen zeigen, dass etwa 38 % aller angestellten Tierärzte mehr arbeitet als gesetzlich erlaubt[4]. Knappe 41 % erhalten keinen Ausgleich und keine Auszahlung von Überstunden – und gar 60 % der angestellten Tierärzte erhält keine Zuschläge für Nacht- und Wochenenddienst[5]. Und das, obwohl 20 % von ihnen drei- bis viermal im Monat nachts und 57 % an ein bis zwei Wochenendtagen arbeitet.

Viele kleine Unterschiede machen einen großen Unterschied aus

Insgesamt bringt der Beruf “Tierarzt” also längere Arbeitszeiten, aber schlechtere Bezahlung als vergleichbare Berufe mit sich. Machen wir es den Docs nicht noch schwerer, indem wir sie respektlos behandeln oder unnötig über Kosten diskutieren.

Stattdessen sollten wir es uns angewöhnen, auch einmal “Danke” zu sagen, Lob auszusprechen und alle unsere Rechnungen pünktlich zu bezahlen. Nicht alles läuft perfekt, aber da wo es gut läuft, sollten wir es auch ansprechen. “Nicht gemeckert ist genug gelobt” gilt hier nicht. Auch, wenn es für uns nur ein paar kleine Worte sind, können sie – über den Tag gesammelt – vielleicht ein wenig Kraft dort geben, wo sie gebraucht wird.

Langfristig sollten wir als Halter auch darüber nachdenken, ob es nicht auch sinnvoll ist, mit unseren Tierärzten zusammen für bessere Entlohnung zu kämpfen: auch wir profitieren davon. Ganz ehrlich 😉 “Mir geht’s nicht gut, also soll es Anderen auch nicht besser gehen” ist jedenfalls eine Einstellung, die hohe Selbstmordraten sicherlich nicht senkt.


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2 Kommentare

  1. Hallo Miriam,

    ein schöner und sehr wichtiger Artikel! Als ich meine Fellnasen kennen lernte und als erste Maya mit ihren 2 Töchtern bei mir einzog, hatte ich das Glück, eine Tierklinik mit prima Personal in der Nähe zu haben. Maya war eine Inzucht-Katze, deren Mama einfach ausgesetzt wurde, als sie von einem ihrer Brüder schwanger geworden war. Sie schloß sich mir an, nachdem ich sie mehrere Wochen mit Futter und Wasser versorgt hatte, denn sie humpelte auf ihren Hinterbeinen leicht. Da dachte ich, daß sie etwas Hilfe sicher gerne annimmt. Anfangs hatte sie mich angefaucht und gebuckelt, mit den Tagen ließ sie das sein und nach nur 2 Wochen beschnupperte sie mich. Ich hatte immer leise mit ihr geredet, und nach einigen Wochen vertraute sie mir ihre eine Tochter an, die nicht mehr die Kraft hatte, auf ihren Beinen zu stehen. Als sie sah, daß ich ihre kranke Tochter sehr sanft behandelte, kam sie mit ihrer zweiten Tochter an und überließ sie mir zum tragen, folgte mir nach Hause, wo ich sofort meinen Tierarzt anrief, der sagte “kommen sie sofort vorbei, wir tun alles, um ihre neue Familie gut zu versorgen”. So war es dann auch. Ich durfte mit meiner neuen Familie in einen extra Warteraum für sehr ängstliche Tiere.

    Maya fauchte und spuckte am ersten Tag, als sie sah, wie der Doc ihre kranke Tochter untersuchte und mittels Pipette fütterte, ließ sich aber von mir halten. Über 3 Tage war ich mehrere Stunden dort, am 2. Tag fauchte Maya leiser, und am 3. Tag beobachtete sie nur und fauchte den Doc auch nicht mehr an. Als die Kleine dann am 3. Tag stark genug war, um bei Mama “anzudocken” und zu trinken, kam der Doc gerade leise rein, sah es und ging ebenso leise wieder, um nicht zu stören. Mayas Blick aus riesengroßenAugen, den sie mir schenkte, werde ich nie vergessen. Er war voller Überraschung, vor allem aber voller Liebe. Die Kleine trank sich satt, ebenso ihre Schwester. Danach gab ich dem Doc Bescheid, und bald darauf saßen wir wieder im Untersuchungszimmer. Es spricht sehr für diesen Tierarzt, daß Maya auf den Tisch wollte, ich sie ließ, und sie sich dann dem Doc vorsichtig näherte, ihn sanft beschnupperte – und dann ihren Kopf an seine Hand schmiegte. Sie ließ sich dann auch untersuchen, ganz geduldig, denn sie hatte Vertrauen gewonnen. Durch seine ruhige Art und sein Verhalten hatte er Mayas Vertrauen gewonnen, obwohl sie wild aufgewachsen war und anfangs eigentlich nur mir vertrauen wollte. Sie hatte verstanden, daß der komisch riechende Zweibeiner heilen konnte.

    Maya hatte weit fortgeschrittenen Krebs und andere Erkrankungen, aber mit Hilfe des Doc konnte sie mit Medikamenten noch so lange recht gut und schmerzfrei leben, bis ihre Töchter 16 Wochen alt und voll sozialisiert waren. Dann mußten wir sie gehen lassen, weil es nicht mehr anders ging.

    https://abload.de/img/maya21jbi.jpg

    Das war Maya. Sie war in kurzer Zeit zu einer liebevollen Hauskatze geworden, eine der ganz sanften Art.

    https://abload.de/img/tiggaqukfw.jpg

    Tigga, die ehemals so schwache Kleine, die noch so frech wurde, daß sie von Mama Maya einen heftigen Popovoll bekam. Ihre Schwester war Ziel von ein paar Mobbing-Attacken von ihr geworden. Schwesterchen sah übrigens exakt so aus wie Mama Maya. Als es Zeit für die Kastration war, noch vor der ersten Rolligkeit, stellte der Doc fest: beide Kinder hatten den Krebs von Mama geerbt. Der Doc tat, was damals (1995) möglich war, aber der Krebs siegte, ließ sie nur 3 Jahre alt werden.

    Ich war immer wieder in dieser Tierklinik, um mal Blumen, Pralinen oder eine Dose mit einer Keksmischung vorbei zu bringen. Der Doc hatte auch immer etwas Zeit, wenn ich mal Fragen hatte oder einen Rat brauchte. Er lachte herzlich, als ich ihm erzählte, daß ich Maya einmal etwas verschlafen ihren Teller mit Futter direkt vor ihr auf den Küchentisch gestellt hatte statt auf den Boden, und ihre Kleinen geduldig daneben saßen. Tja, da mußte ich ihnen ab dem Tag das Futter immer auf dem Tisch servieren, der zum Glück groß genug war, daß mein Teller dort auch noch Platz hatte. “Einmal erlaubt heißt bei Katzen meistens für immer erlaubt” sagte mein Doc lachend dazu. Die Fotos davon ließen ihn und sein gesamtes Personal herzlich lachen. Als er später das Foto von Tigga sah, sagte er “die süße Kleine himmelt sie ja richtig an, sie werden geliebt”. So war es auch, und beide Kleinen wurden bestens versorgt, bekamen milde Medikamente, um den Krebs nicht zu schnell voran schreiten zu lassen und Schmerzen zu vermeiden.

    Ohne diesen wirklich guten Tierarzt hätte meine Familie nicht überleben können. Er hatte auch öfter nach niedrigem Satz abgerechnet, obwohl er den Höchstsatz nehmen konnte. Er wußte, daß ich nicht besonders reich war und dabei war, einen sehr großen Teil meines Ersparten zu ihm zu tragen. Er kam auch zu mir, damit Maya in ihrer vertrauten Umgebung einschlafen konnte, und bei ihren beiden Töchtern 3 Jahre darauf ebenso. Ich wollte darauf erstmal keine Katzen haben, aber 1999 war ein Streunerkater anderer Meinung und adoptierte mich im Wald. 15 Jahre alt, ein Mischling aus Silber-Bengale und EKH, mager, aber mit Lebenswillen. Wir konnten ihn schnell aufpäppeln und er wurde für 11 Monate mein bester Freund, bis eines Nachts sein Herz einfach stehen blieb. Das war das erste mal, daß ich meinen Tierarzt tief erschüttert sah, denn Tom war ca. 2 Wochen vorher gründlich untersucht worden und war kerngesund.

    Ein guter Tierarzt ist sein Gewicht in Gold wert! Ich hoffe, es gibt noch viele solcher Tierärzte, und daß sie nur freundliche Menschen als Kunden haben. Ja ich weiß, ich bin ein naiver Optimist…

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